Die kleine Hexe hat Hunger

"Wenn Du mal" hatte die große Hexe gesagt, "nach einem Besenflug zurückkommst und hast einen unheimlich großen Hunger, aber dann stellst Du fest: Ich habe keine Kartoffeln mehr im Haus, keine Äpfel, keine Schokolade: Dann komm’ doch einfach bei mir vorbei, kleine Hexe! Dann mach’ ich uns was zu essen! Dann koche ich Milchreis für Dich!"

"Vielen Dank." hatte die kleine Hexe gesagt und sich sehr gefreut.

 

Vierzehn Tage später kam die kleine Hexe von einem Wochenendausflug zurück. Sie war ziemlich erschöpft. Sie hatte ihre Freundin besucht, die auf dem Mond lebte, hinter den Mondbergen, am Fluss des gelben Rauches, bei dem Mondmann mit den schönen Augen.

 

Drei Tage war die kleine Hexe unterwegs gewesen, sieben Stunden hatte sie auf dem Besen gesessen, für den Rückflug. Ihr kleiner Hintern tat weh, als sie in die Stube humpelte. Sie räumte den Besen in den Schrank und klemmte ihn sicher fest, damit er nicht wegflog. Dann humpelte sie wieder zur Tür.

"Wo willst Du denn hin?" rief der alte Kater, der hinter der Tür wartete. "Du bist doch gerade erst zurückgekommen!"

"Ich gehe zur großen Hexe, ich muss etwas essen." Die kleine Hexe trat hinaus in die Nachtluft.

"Ich kann Dir auch etwas zu Essen machen!" rief der alte Kater. "Wir können Kartoffeln kochen!"

Die kleine Hexe schloss die Augen, griff sich an die Stirn. "Schrei mich nicht an, alter Kater, ich bin müde, und habe keine Lust, Kartoffeln zu kochen. Die große Hexe will mir Milchreis machen."

"Aber…" Der alte Kater wollte etwas antworten, doch es fehlten ihm die Worte.

 

Die kleine Hexe stapfte durch den Herbstwald. Die große Hexe wohnte am Ende der Fichtenlichtung.

"Ja bitte?" Die große Hexe streckte den Kopf aus der Tür. "Was ist los?"

"Guten Abend." sagte die kleine Hexe. "Ich bin’s." Sie lächelte müde. "Ich bin zurück von einer langen Reise. Kann ich etwas essen und mich bei Dir ausruhen?"

Die große Hexe drehte den Kopf zurück ins Haus, lauschte eine Weile, drehte sich dann zurück: Erstaunt sah sie die kleine Hexe an. "Wieso denn bei mir? Ist Dein Haus abgebrannt?"

Die kleine Hexe wollte etwas antworten, aber die große Hexe redete schon weiter: "Du musst schon entschuldigen." flüsterte sie. "Aber ich habe gerade einen sehr netten Hasen zu Besuch. Wir wollen gerade Essen." Sie lächelte entschuldigend. "Ein anderes Mal, in Ordnung?" Schnell machte sie die Tür zu und schloss zweimal ab.

 

Da stand die kleine Hexe vor der Tür: Sie spürte die Tränen in sich aufsteigen. Einen kleinen Moment wollte sie mit den Fäusten gegen die Tür pochen, aber dann knirschte sie nur einige Male kräftig mit den Zähnen, drehte sie sich um und stapfte zurück nach Hause. Sie sprach kein Wort mehr zu den gurrenden Tauben auf dem Schrank oder dem alten Kater, der ihr um die Beine strich. Hungrig ließ sie sich ins Bett fallen und hungrig schlief sie ein.

 

Am nächsten Morgen war die kleine Hexe böse auf die große Hexe. Sie hatte jetzt genug gegessen: Am nächsten Morgen hatte ihr der alte Kater ein großes Frühstück gemacht und sie hatten sich den ganzen Tag die Bäuche vollgeschlagen.

 

Aber obwohl die kleine Hexe jetzt satt war, konnte sie immer noch den Hunger spüren, den sie vor der Haustür der großen Hexe gehabt hatte. Und es war ein böser Hunger, der sich in sie hineinfraß, wie ein Käfer ins Haselnussholz.

 

Eine halbe Hexenwoche später passierte es, dass die kleine Hexe einen Topf Milchreis kochte. Und es passierte, dass sie so unglaublich viel Milchreis kochte, dass der Reis wie ein kleiner Berg aus dem Topf ragte, als er fertig war. Nachdenklich besah sich die kleine Hexe den Milchreis, und dann hatte sie plötzlich eine Idee. Sie lächelte.

 

Sie ging sie zu dem Schrank, auf dem die Tauben wohnten, und sprach mit feierlicher Stimme: "Fliegt bitte schnell ans Ende der Fichtenlichtung und ladet die große Hexe zum Essen ein. Ich habe soviel Milchreis gekocht: Ich kann ihn nicht alleine essen."

Die beiden Tauben nickten mit den Köpfen und flogen los.

 

Wenige Zeit später saßen die kleine und die große Hexe zusammen und löffelten ihren Milchreis, in großer Feierlichkeit. Als der große Topf leergelöffelt war, leckte sich die große Hexe die Lippen. "Das war lecker." sagte sie zufrieden.

Die kleine Hexe lachte und sagte: "Weißt Du was? Wenn Du mal nach einem Besenflug zurückkommst und hast einen unheimlich großen Hunger, aber dann stellst Du fest: Ich habe keine Kartoffeln mehr im Haus, keine Äpfel, keine Schokolade: Dann komm’ doch einfach vorbei, große Hexe! Dann mach’ ich uns was zu essen! Dann koche ich Milchreis für Dich!"

 

Und die große Hexe lachte.

 

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