Familie Rabel fährt in den Urlaub

Drehbuch zum Kurzfilm,

August 2008

 

1. Szene

In einer Küche, klein und chaotisch. Darin zwei Mädchen, Friederike und Annegret.

 

Die Ausgestaltung des Anfangs der ersten Szene möchten wir gerne mit den Kindern entwickeln. Annegret ist die jüngere; sie ist auf beinahe noch kindliche Weise selbstbewusst, fröhlich, altklug. Friederike ist älter. Sie ist kein Kind mehr, sie ist ernster, zurückgezogener, fast mürrisch. Annegret spielt mit einem Kartenspiel, Friederike tut irgendetwas anderes. Annegret zieht Friederike damit auf, dass sie ein besseres Zeugnis hat als sie. Annegret nervt, Friederike versucht, sich nicht nerven zu lassen. Das übliche Machtgerangel unter Geschwistern...

 

Die Wohnungstür wird aufgeschlossen, Kerstin tritt ein, Zigarette im Mund, sie bewegt sich hektisch und angespannt. Der Wohnungsflur ist so zugestellt mit Wäsche, Spielzeug, Koffern, Topfpflanzen, dass sie schon durch das Türöffnen irgendetwas umstößt. Sie mustert den Flur, dann brüllt sie los.

 

Kerstin

Hättet ihr den Scheiß nicht irgendwo anders hinstellen können?

 

Sie schlängelt sich um den Kram herum zur Garderobe und zieht ihre Schuhe aus. Dabei:

 

Kerstin Oder am besten gleich wegpacken!

 

Die Mädchen in der Küche sehen auf, Annegret ruft in den Flur hinaus

 

Annegret Stell dir vor, ich hab sieben Zweien!

 

Friederike verdreht die Augen, Annegret lauscht auf eine Antwort.

 

Kerstin Annegret, hast du dein Schwimmzeug aufgehängt? Das schimmelt, wenn du’s in der Tasche lässt!

 

Blickwechsel zwischen den Mädchen, in den hinein Kerstin die Küche betritt, einen tropfenden Beutel in der Hand, den sie Annegret entgegen streckt. Ihre Aufmerksamkeit wird aber sofort von dem Zustand der Küche in Beschlag genommen.

 

Kerstin Das ist nicht euer Ernst, oder? Ich hab euch gesagt, ihr sollt die Scheißküche aufräumen! Ich hab euch gesagt, dass ihr bitte das verdammte Geschirr spülen sollt!

 

Annegrets Fröhlichkeit verschwindet schlagartig, aber sie schiebt weiterhin ihre Spielkarten hin und her. Friederike unterbricht (was auch immer sie tut). Kerstin baut sich vor den Mädchen auf, die Hände in den Hüften. Sie ist jetzt wirklich wütend.

 

Kerstin Es tut mir leid, dass wir keinen Diener haben, der euch die ganze Scheiße hinterherträgt, aber wir müssen alle arbeiten, wenn das hier funktionieren soll!

 

Friederike beißt sich auf die Lippe, Annegret legt weiter ihre Karten aus.

 

Kerstin Und kannst du mal aufhören mit deinen blöden Karten, hier gibt’s genug zu tun!

 

Mit einer plötzlichen Bewegung wischt sie einige Karten vom Tisch. Annegret erstarrt. Friederike beobachtet die beiden, zögert einen Augenblick, dann motzt sie zurück.

 

Friederike Und du musst nicht immer gleich so rumschreien, das ist total peinlich!

 

Kerstin (platzt endgültig) Peinlich, ja!? Weißt du, was ich peinlich finde? Dass ihr euch den ganzen beschissenen Tag nur von mir bedienen lasst! Dass ihr nie mithelft! Dass unsere ganze Wohnung stinkt und eklig ist und euch das so SCHEISSEGAL ist!

 

Sie greift nach einem Teller vom Spülberg, noch halb gefüllt mit verschimmelten alten Nudeln mit Tomatensauce und schmeißt ihn gegen die Wand.

 

Kerstin Das finde ich zum Kotzen!

 

Der Teller zerbricht in Scherben, die Nudeln und die Sauce rutschen über die Tapete. Friederike und Annegret sitzen versteinert da, keine der beiden rührt sich oder blickt auf. Kerstin ist außer Atem, aber weiß nun auch nicht mehr wohin mit der Wut. Ein Moment extrem angespannter Stille.

 

Dann klingelt es an der Haustür. Annegret springt auf und rennt zur Tür, an Kerstin vorbei. Kerstin selbst steht weiter reglos da. Friederike wägt einen Moment ab, dann steht sie langsam auf, nimmt einen Geschirrstapel aus der Spüle und lässt Wasser in das Becken.

 

Annegret öffnet die Tür. Draußen steht Herzeleide; Annegret wirft sich in ihren Arm.

 

Herzeleide Was ist denn hier los?

 

Annegret (flüstert) Mama ist wütend.

 

Herzeleide (streicht Annegret durchs Haar, flüstert auch) Verstehe.

 

Herzeleide tritt in die Küche, zieht Annegret mit sich. Friederike steht an der Spüle und lässt noch immer Wasser einlaufen. Kerstin steht mitten in der Küche, die Hände noch immer in den Hüften, atemlos und angespannt.

 

Herzeleide Hallo.

 

Kerstin zieht sich einen Stuhl heran, laut quietschend auf dem Küchenfußboden. Sie setzt sich, verschränkt die Arme, zieht an ihrer Zigarette.

 

Herzeleide schiebt Friederike beiseite, die erst bei diesem Körperkontakt zu Herzeleide aufblickt. Sie bleibt sie neben Herzeleide stehen; diese drückt ihr ein Geschirrhandtuch in die Hand und beginnt abzuwaschen. Annegret steht im Türrahmen und beobachtet stumm die Szene.

 

2. Szene

Im Kinderzimmer. Ein kleiner, vollgeräumter Raum, die Wände voller Regale voller Kram, dazwischen alles zuplakatiert mit Postern. An der Zimmertür ein von Kinderhand gezeichnetes "Rauchen verboten"-Schild. Zwei Tische, auf einem ein Scott-Schulranzen, auf dem anderen ein Armeerucksack, überall fliegen Stifte, Kaugummis u.ä. rum. Annegret sitzt oben auf dem Bett, vor sich einen Koffer. Friederike steht vor dem Schrank.

 

Friederike Hast du meinen schwarzen Pulli gesehen?

 

Annegret Nö!

 

Friederike seufzt, läuft aus dem Zimmer. Eine Montagesequenz beginnt. Herzeleide, die mit dem Handfeger die Nudeln auffegt. Friederike im Bad, den gesamten Badezimmerschrank in einen Beutel schüttend. Annegret, ihre Kleidung zusammenlegend. Kerstin reicht Friederike einen schwarzen Pulli, den sie aus einem großen Wäscheberg zieht. Annegret schleppt einen viel zu großen Koffer vom Kinderzimmer in den Flur. Herzeleide schließt ihre eigene Wohnungstür auf, sie und Friederike hieven die Topfpflanzen hinein. Ein verschwörerisches Lächeln, als sie wieder die Treppe hinaufgehen, ein Moment nur zwischen den beiden. Kerstin am Küchentisch, eine Zigarette rauchend, die Küche inzwischen aufgeräumt. Annegret (die ihren Wohnungsschlüssel an einem Band um den Hals getragen hat) gibt Herzeleide ihren Schlüssel, Kerstin nickt dazu. Abschließend der aufgeräumte Flur, darin die gepackten Koffer, die Mädchen im Pyjama vom Bad ins Kinderzimmer huschend.

 

3. Szene

Tag. Kerstin, Friederike und Annegret schleppen ihre Koffer und Taschen das Treppenhaus hinunter. Im Erdgeschoss halten sie an. Annegret klingelt. Herzeleide öffnet, lächelt alle drei breit an. Annegret umarmt Herzeleide, Friederike winkt Herzeleide betont beiläufig mit der Hand zu. Als Annegret sich löst, nickt Herzeleide freundlich und nachdrücklich Kerstin zu.

 

Herzeleide Dann macht’s mal gut!

 

Kerstin nickt zurück und lächelt müde, packt dabei schon wieder die Koffer, setzt sich wieder in Bewegung, zur Haustür. Kerstin hat einen großen Seesack auf dem Rücken, trifft damit aus Versehen Friederike, als sie die Tür öffnet.

 

Friederike (motzt) Pass doch auf!

 

Kerstin Pass doch selber auf!

 

Sie treten ins Freie, schleppen und ziehen ihr Gepäck zur Bushaltestelle. Dabei sieht man die Straße: Bäume, Autos, Kirche im Hintergrund. Der Bus fährt vor.

 

4. Szene

Familie Rabel auf dem Bahnsteig in Kiel, am Fahrkartenautomaten. Einer von diesen modernen Automaten mit Touchscreen. Kerstin versucht, die Fahrkarten zu lösen. Friederike lehnt mit mürrischer Miene an einem Mülleimer daneben, kramt Kaugummis aus der Verpackung. Kerstin kommt nicht recht voran am Automaten. Offensichtlich kann sie sich in dem Menu nicht orientieren.

 

Annegret Scheiße!

 

Kerstin reagiert nicht. Friederike sieht auf.

 

Friederike Was denn?

 

Annegret Ich hab das Mennyms-Buch vergessen.

 

Kerstin (ungeduldig, voll mit dem Automaten beschäftigt) Dann kaufen wir halt im Urlaub ein neues, lesen’s ganz vorsichtig und schenken’s später Herzeleide zum Geburtstag. Alles klar?

 

Annegret Alles klar im Wurstbasar.

 

Kerstin schnaubt, dann tritt sie mit dem Fuß gegen den Automaten. Friederike springt auf, schiebt die Mutter unwirsch beiseite.

 

Friederike Lass mich mal machen.

 

5. Szene

Die Zugfahrt. Man sieht die Familie auf dem Bahnsteig vor dem einfahrenden Zug. Einsteigen mit dem ganzen Gepäck, drängeln. Kerstin hebt die großen Gepäckstücke ins Gepäckfach. Sitzen. Friederike hört Musik mit Kopfhörern. Annegret beobachtet die anderen Fahrgäste, Kerstin steht auf dem Gang und raucht.

 

Umsteigen am Hamburger Bahnhof, Rolltreppenfahren, Annegret bestaunt die große Bahnhofshalle.

 

Ein anderes Zugabteil. Die Familie packt belegte Brote aus. Friederike zaubert aus einer "Ihr Platz"-Plastiktüte eine Flasche Cola und eine Packung Schokoküsse. Kerstins Blick, als sie die Schokoküsse sieht.

 

Kerstin schläft, Friederike liest Astrid Lindgren. Annegret gurgelt mit Cola.

 

6. Szene

Die Ankunft. Die Familie steigt aus dem Zug. Es ist derselbe Bahnsteig, von dem sie abgefahren sind. Sie sind wieder in Kiel.

 

Die drei bleiben vor dem Zug stehen. Kerstin wendet sich den Mädchen zu, beobachtet sie sehr genau. Annegret grinst strahlend in die Runde, Friederike beobachtet ihrerseits zögernd die Mutter. Kerstin lässt den Blick durch die Halle streifen, kramt einen Notizzettel aus der Tasche, dreht diesen in der Hand, als müsse sie sich orientieren. Alle ihre Gesten sind übertrieben, etwas zu stark. Sie kratzt sich am Kopf. Annegret kichert, Friederike stößt sie in die Seite.

 

Kerstin wendet sich einem vorbeieilenden Mann zu.

 

Kerstin Tschuldigung, wo geht’s denn hier zu den Taxis?

 

Der Mann deutet im Weitereilen in eine Richtung, dann ist er auch schon weiter.

 

Kerstin Toll, nicht mal höflich antworten können die hier!

 

Annegret grinst weiter, Friederike bemüht sich, neutral zu gucken, kann sich ein Grinsen aber nicht ganz verknreifen. Die drei nehmen ihr Gepäck, trotten in die angedeutete Richtung.

 

7. Szene

Wieder zurück in der Straße aus Szene 3, die gleichen Bäume, Kirche, Autos. Familie Rabel klettert aus einem Taxi, der Fahrer reicht die Koffer aus dem Kofferraum. Im Hintergrund laufen drei Taucher in voller Tauchermontur durchs Bild. Annegret sieht ihnen nach, die anderen bemerken sie gar nicht. Am Zaun vor dem Haus ist ein Pappschild: Pension Möwenruh. Kerstin klingelt. Die Tür wird geöffnet. Es ist Herzeleide, die sich als Pensionsmutter verkleidet hat.

 

Vermieterin Familie Robel?

 

Annegret kichert, und auch Friederike muss grinsen, fängt sich aber schnell wieder.

 

Kerstin Rabel. Wie Krähe, nur mit "l".

 

Vermieterin Meinetwegen, meinetwegen.

 

Die Vermieterin lässt sie eintreten, Annegret grinst immer noch, Friederike wirft ihr warnende Blicke zu. Kerstin lässt sich nichts anmerken.

 

Vermieterin Und das Treppenhaus ist kein Spielplatz für Kinder, das sag ich ihnen gleich! Das ist ein ruhiges Haus hier!

 

Alle vier stapfen die Treppe hoch. Vor der Wohnungstür hängt ein Blechschild "Appartement 9". Die Vermieterin schließt auf, öffnet die Tür, lässt die Familie in eine von allen persönlichen Gegenständen leergeräumte Wohnung treten. Sie führt sie in die Küche. Auf dem Küchenfußboden liegen drei Luftmatratzen, darauf Handtücher, eingepackte Seifen-stücke und ein Kieler Stadtplan. Der Nudelsoßenfleck an der Wand wird mehr schlecht als recht von einem kitschigen Bild verdeckt.

 

Vermieterin Frühstück ist um neun, unten im Essraum. Und verlieren Sie bloß nicht die Schlüssel, dauernd muss ich welche nachmachen lassen!

 

Sie schneuzt sich in die bloße Hand, knallt die Schlüssel auf den Tisch. Annegret zuckt leicht zusammen, freut sich aber.

 

Vermieterin Schönen Aufenthalt.

 

Kerstin Danke.

 

Szene 8

Am Strand. Man sieht Surfer, Segler, schwimmende Kinder. Streunende Hunde, Möwengeschrei und Schwalbenrufe, Meeresrauschen.

 

Die Familie breitet Handtücher aus. Friederike, mit T-Shirt und Shorts bekleidet, liest in ihrem Astrid Lindgren Buch. Kerstin, im Bikini, sitzt auf dem Handtuch neben ihr und ebenfalls lesend, nestelt ohne hinzusehen nach einer Zigarette, steckt sie sich in den Mund. Friederike, ebenfalls ohne hinzusehen, nimmt sie ihr wieder aus dem Mund. Kerstin will protestieren, aber Annegret (im Badeanzug), gerade aus dem Wasser kommend, bespritzt beide mit Wasser. Beide quietschen auf, aber lachen nicht.

 

Szene 9

Surfer am Strand, knackige, braungebrannte junge Männer. Ein Mann sitzt am Ufer, baut sein Surfbrett auf. Annegret beobachtet ihn ebenso fasziniert wie unverhohlen aus einigen Metern Entfernung. Sie hat inzwischen ein T-Shirt an, in dem sie vor dem Bauch Steine gesammelt hat. Der Surfer wird auf sie aufmerksam, lacht sie an. Annegret lacht zurück, sie flirtet mit ihm.

 

Friederike wird auf beide aufmerksam, beginnt, Annegret über ihre Buchkante hinweg zu beobachten. Der Surfer ist sehr freundlich, behandelt Annegret aber wie ein Kind.

 

Surfer Das ist ein Surfbrett, das ist so wie Snowboardfahren auf dem Wasser.

 

Annegret Schon klar, kenn ich.

 

Surfer Ach so, eine Expertin! Wo kommst du denn her?

 

Annegret kneift die Augen zusammen. Die drei Taucher in Tauchermontur (Flossen, Ganzkörperneoprenanzug, riesige Taucherbrillen, Schnorchel, Luftflaschen auf dem Rücken) laufen ins Bild, packen den Surfer an Händen und Füßen und werfen ihn im hohen Bogen ins Wasser. Annegret reibt sich die Hände und wendet sich grinsend ab.

 

(Evtl. noch Reaktion Friederike, die hinter ihrem Buch in sich hineingrinst)

 

Szene 10

Friederike cremt sich ein, Kerstin ist inzwischen eingeschlafen. Annegret läuft mit einem Stock in der Hand um beide herum, zieht Linien in den Sand: einen Hausgrundriss.

 

Friederike steht auf, macht einen Schritt. Auf der Tonspur beginnt das Haus zu leben: Dielen quietschen. Sie stößt gegen eine imaginäre Wand, tastet, öffnet eine quietschende Tür. Sie legt die Sonnencremeflasche in Kerstins Tasche.

 

Szene 11

Im Frühstückszimmer. Die Vermieterin serviert Kaffee, Brötchen, verpackter Aufstrichkram. Annegret und Friederike bauen einen Turm aus leeren Marmeladen- und Nutellatöpfchen. Die Vermieterin kommt, sieht den Turm, greift die Töpfchen.

 

Vermieterin (motzt) Sie können die Marmeladentöpfchen ruhig selber wegschmeißen! Hier müssen alle arbeiten und mitanpacken...

 

Kerstin kommt aus dem Hintergrund dazu, eine Scheibe Käse in der Hand.

 

  ... wenn das funktionieren soll. Ich bin schließlich nicht Ihr gottverdammter Diener, der Ihnen die ganze Scheiße hinterherträgt!

 

Kerstin lässt den Käse auf das Brötchen fallen. Herzeleide bemerkt sie erst jetzt, erschrickt. Für einen Moment sehen sie sich direkt in die Augen, dann rafft Herzeleide die Töpfchen zusammen, nimmt einen dreckigen Teller und verlässt den Raum. Friederike und Annegret kauen langsamer, essen aber weiter, die Blicke gesenkt. Kerstin steht einen Moment da, sammelt sich, fährt sich mit der Hand durch das Gesicht.

 

Szene 12

Wieder am Strand. In der Ferne sammelt Annegret Steine. Friederike sitzt auf ihrem Handtuch und liest. Kerstin sitzt in ihrer Nähe, beobachtet sie eine ganze Weile.

 

Schließlich bemerkt Friederike, dass sie beobachtet wird.

 

Friederike Ist was?

 

Kerstin überlegt kurz, greift dann hinter sich zu der Tasche, kramt die Sonnencremeflasche heraus.

 

Kerstin Magst du mir vielleicht den Rücken eincremen?

 

Friederike verzieht das Gesicht.

 

Friederike Kannst du das nicht selbst?

 

Kerstin streckt Friederike die Sonnencreme entgegen.

 

Kerstin Bitte.

 

Einen Moment verharren beide in ihren Positionen. Dann legt Friederike das Buch zur Seite, steht auf, greift die Flasche.

 

Friederike Dann musst du dich aber hinlegen!

 

Kerstin legt sich auf den Bauch. Friederike kniet neben ihr, lässt Sonnencreme aus der Flasche auf Kerstins Rücken platschen. Dann streicht sie Kerstin sehr vorsichtig die Haare aus dem Nacken und beginnt, die Sonnencreme einzumassieren. Während Friederike sie eincremt, sieht Kerstin hinaus aufs Meer. Die Strandatmosphäre muss hier sehr präsent werden. Die Ruhe. Meeresrauschen, Schwalbengezwitscher. Eine leichte Brise, Kerstin atmet entspannt tief ein und aus. Sie genießt den Augenblick der Nähe. Nach einer ganzen Weile des wortlosen Genießens

 

Kerstin (vorsichtig) Was hältst du denn von unserer Vermieterin?

 

Friederike massiert weiter, denkt einen Moment nach. Dann fängt sie an zu grinsen, schließlich muss sie lachen.

 

Friederike (lachend) Die ist ein ganz schöner Drachen!

 

Kerstin muss laut mitlachen.

 

Annegret kommt dazu. Sie hat das ganze T-Shirt voll mit Steinen, die sie vor den beiden ablädt. Sie mustert die beiden Lachenden.

 

Annegret Was denn?

 

Friederike ist fertig mit Eincremen, verschließt die Flasche und legt sie zurück in die Tasche. Kerstin dreht sich auf den Rücken. Die Perspektive bleibt bei Kerstin, die Kinder hört man nur noch aus dem Off.

 

Friederike Du bist durch die Wand gelaufen!

 

Annegret Scheiße. Äh... dann ist da jetzt eben ‘ne Tür.

 

Kerstin beobachtet grinsend die Schwalben hoch oben am Himmel.

 

Szene 13

Montagesequenz von Urlaubsbildern. Dies sind einige Ideen, es muss später nach Platz und Rhythmus entschieden werden, welche davon in welcher Reihenfolge erzählt werden sollen. Es muss sich durchziehen, dass Kerstin immer wieder den Kontakt mit den Kindern sucht, manchmal erfolgreich, manchmal nicht.

 

Klettern auf den Rathausturm: Ein weiter Blick über Kiel.

 

Fahren mit dem Fördedampfer, im Hintergrund HDW.

 

Kerstin kauft Postkarten und Briefmarken. Wenn sie bezahlt, zählt sie das Geld nach.

 

Annegret probiert Sonnenbrillen vor einem Spiegel.

 

Friederike kauft Mennyms unter Menschen in einer Buchhandlung

 

Ein Erdbeerfeld: Friederike und Annegret stopfen sich Erdbeeren in den Mund. Kerstin liegt zwischen Erdbeerreihen und sieht den Schwalben am Himmel zu.

 

Ein Reisebüro: Die Kamera bleibt an roten Sonderangeboten hängen

 

Stimmen im Hausflur, Warten hinter der Wohnungstür, bis die Schritte im Treppenhaus verhallt sind.

 

Friederike und Annegret bis zum Hals eingegraben im Sand: Kerstin sitzt davor, liest die Mennyms vor. Grinsend zündet sie sich eine Zigarette an. Die eingegrabenen Mädchen protestieren.

 

Ein Strandcafé: Die Kinder essen Pizza. Unterm Tisch füllt Kerstin heimlich die Colagläser auf. Ein Kellner droht grinsend mit dem Zeigefinger.

 

Am Strand. Ein Wandersmann, in Bayernkluft: Wanderstiefel, Kniestrümpfe, Lederhosen, rotkariertes Hemd, Wanderhut, Wanderstock, über der Schulter ein strammes Seil mit Kletterhaken. Er läuft durch die Brandung.

 

Im Hintergrund schiebt ein Briefträger ein großes, gelbes Fahrrad durch den Sand. Stellt sich ans Meer, hupt mit lauter Meereshupe. Ein grüner Meermann taucht auf, (halb nackt, halb haarig), schwimmt zum Strand, nimmt einen Brief entgegen. Sie wechseln ein paar Worte, dann taucht Meermann wieder ab. Der Briefträger radelt davon. Annegret sieht ihm grinsend nach.

 

Szene 14

Abends. Familie Rabel in der Urlaubsküche. Annegret sitzt am Tisch und bemalt die gesammelten Steine mit Filzstiften zu Steinmenschen. Auf dem Tisch eine hässliche Blumenvase mit blühender Distel, Tüten, Papier, halbgefressene Pommespäckchen, ein Ketchupfleck. Irgendwo liegt das Telefon. Friederike liest einen Urlaubsprospekt. Annegret fegt Papiermüll zusammen. Kerstin kramt in ihrer Tasche.

 

Friederike guckt beiläufig auf, reagiert aber nicht weiter. Kerstin nimmt eine Zigarette aus der Tasche, steckt sie sich in den Mund.

 

Friederike Wir hatten gesagt: Nicht in der Urlaubswohnung.

 

Kerstin (gereizt) Aber draußen regnet’s.

 

Friederike (ungerührt weiterlesend) Wir hatten gesagt: Nicht in der Urlaubswohnung.

 

Kerstin setzt an, etwas zu sagen... lässt es dann aber und stopft die Zigarette zurück in die Packung. Friederike liest den Prospekt, ohne eine Miene zu verziehen. Annegret grinst.

 

Kerstin Wir sollten Herzeleide ’ne Postkarte schreiben. Sie passt schließlich auf die Blumen auf.

 

Annegret legt die Stifte weg, wendet sich an Friederike.

 

Annegret Spielst Du mit Mau-Mau? Nur zu zweit ist blöd!

 

Friederike zuckt die Schultern, liest weiter. Kerstin nimmt die Tasche auf den Schoß, um darin nach Postkarten zu suchen. Sie sieht auf, sieht Annegret lächelnd an.

 

Kerstin Teil aus und frag nicht so viel!

 

Sie findet die Karten, hält sie hoch.

 

Kerstin Welche findet ihr gut? Stadt? Strand?

 

Annegret beginnt die Spielkarten zu mischen, Friederike lässt den Prospekt sinken.

 

Annegret Nimm doch die...

 

Das Telefon klingelt.

 

Die Frauen halten in der Bewegung inne. Kerstin mit der Tasche auf dem Schoß, Friederike den herabgesunkenen Prospekt in der Hand, Annegret mischt. Die Kinder sehen die Mutter an. Die Mutter sieht Kinder an.

 

Schnitt: Wir sind wieder im Strandhaus. In der Mitte des Nachtstrandes steht der Küchentisch, darauf Steinmenschen, Distelvase, Müllreste, Mau-Mau-Karten, alles unverändert. Auch die Frauen in gleicher Position. Daneben eine Kommode mit dem klingelnden Telefon.

 

Kerstin hat plötzlich einen großen roten Spaten in der Hand und gräbt ein Loch in den Strand. Sie wirft das Telefon hinein und schaufelt das Loch wieder zu. Die Mädchen sehen zu. Kerstin tritt den Sand fest. Grinsend wendet sie sich den Mädchen zu.

 

Schnitt zurück in die Wohnung: Szenario unverändert: Tisch, Steinmenschen, Distelvase, Müll und Mau-Mau-Karten. Nur das Telefon ist verschwunden. Kerstin grinst ihre Töchter an, Annegret grinst zurück, fängt an zu lachen. Friederike stimmt ein, schließlich lacht auch Kerstin.

 

Szene 15

In der Küche. Kerstin steht im Türrahmen und beobachtet die beiden Mädchen, die auf den Matratzen am Boden schlafen. Auf dem Tisch stehen Annegrets Steinmenschen.

 

Szene 16

Kerstin läuft durch die nächtliche Stadt. Flimmernde Lichter, Autos, Laternen. Sie wirft Herzeleides Postkarte in einen Briefkasten. Beleuchtete Schiffe auf der Förde, treibende Musik aus Clubs & Discos. Kerstin geht in eine Bar.

 

Am Klavier ein junger Mann, er spielt Jazz. Kerstin sitzt vor einem Bier und hört zu. Ihre Blicke treffen sich, er lächelt, sie legt den Kopf schief. Nach einer Weile steht sie auf, setzt sich näher an ihn heran. Dazwischen Bilder der Bar: Kellner, die Gläser spülen, Trinkgeld zählen, ein Typ kommt vom Klo, zieht sich zu spät den Schlitz hoch. Die Taucher sitzen an der Bar.

 

Szene 17

An der Hörn: Kerstin und der Musiker lassen die Beine übers Wasser baumeln. Sie rauchen. Er zieht sich das T-Shirt über den Kopf, gleitet ins dreckige Wasser. Kerstin lacht, sieht ihm zu.

 

Szene 18

Er schreibt eine Telefonnummer auf einen Bierdeckel, Kerstin lächelt und steckt ihn ein. Er setzt sich wieder ans Klavier, um weiterzuarbeiten. Auf dem Klavier zurück bleibt ein Steinmensch von Annegret.

 

Szene 19

Wiederholungsbild (genau wie Szene 14): Die schlafenden Mädchen, die beobachtende Mutter im Türrahmen.

 

Kerstin wischt sich mit der Hand über die Augen.

 

Szene 20

Montagesequenz. Kerstin packt die Koffer, während die Mädchen die Luft aus den Luftmatratzen herauspressen. Kerstin muss lachen, als sie sieht, wie ausgelassen die beiden dabei sind. Die Vermieterin wird bezahlt, der Schlüssel zurück gegeben, Kerstin beschwert sich, dass der Service nicht gut war.

 

Nun wird parallel geschnitten:

 

Die Familie fährt in einem Taxi zum Bahnhof.

 

In der Urlaubswohnung zieht Herzeleide ihr Vermieterin-Kostüm aus.

 

Kerstin greift nach Tickets im Automatenfach (es wird nicht erzählt, wer den Automaten bedient hat).

 

Herzeleide sitzt am Tisch, liest eine Postkarte.

 

Im Zug. Friederike und Annegret sind beide eingeschlafen. Kerstin hat Friederikes Astrid Lindgren Buch auf dem Schoß und liest den schlafenden Mädchen vor.

 

Herzeleide steht vorm Badezimmerspiegel und weint.

 

Ganz nah bei Kerstin: Sie sieht aus dem Fenster. Draußen gleitet der Nachtstrand vorbei. Da ist nicht mehr nur ein Sandhaus, sondern eine ganze Reihe: Gezeichnete Häuser, in denen aber echte Möbel stehen: Tische, Sessel, Fernseher, eine Toilette auf der jemand Zeitung liest. Lichter flimmern in der Dunkelheit: Lampen, Kerzen, Fernseher. Menschen essen zu Abend, spielen, lesen, sehen fern, putzen die Zähne, gehen zu Bett. Wir sehen den Portraitmaler, den Stadtführer, den Kellner, Kerstins Musiker aus dem Jazzcafé.

 

Kerstin legt den Kopf ans Zugfenster.

 

Herzeleide räumt auf, verstaut die Matratzen, rückt Möbel zurecht, nimmt das Kitschbild ab, schließt die Zimmer auf und verteilt die persönlichen Gegenstände wieder in der Wohnung.

 

Szene 21

Bei den Rabels. Herzeleide öffnet die Wohnungstür. Friederike und Annegret taumeln in die Wohnung, noch verschlafen, verziehen sich sofort ins Kinderzimmer. Kerstin stellt das Gepäck im Flur ab. Sie und Herzeleide stehen sich gegenüber, und ohne großes Zögern nimmt Kerstin Herzeleide in den Arm.

 

Szene 22

Die Küche ist wieder ein kleines Chaos, aus noch nicht zurückgeräumten Zimmerpflanzen, halb offenen Koffern. Herzeleide steht am Herd und kocht an einem dampfenden Topf, Kerstin sitzt am Tisch und dreht sich eine Zigarette. Friederike kommt hereingeschlendert. Herzeleide zögert kurz, zieht dann Friederike an sich und drückt sie fest. Friederike verzieht unwillig das Gesicht, lässt es aber geschehen. Als Herzeleide sie loslässt, schlendert Friederike weiter zum Herd, riecht an dem Topf, lächelt.

 

Szene 23

Kerstin bringt die Kinder ins Bett, Annegret oben, Friederike lesend unten. Annegret deutet auf die Steinmenschen, die jetzt auf einem Regal über dem Bett stehen.

 

Annegret Ich hab schon eine ganze Stadt!

 

Kerstin drückt ihr einen Kuss auf die Stirn.

 

Kerstin Gute Nacht, kleine Menschenmacherin.

 

Kerstin beugt sich zu Friederike herunter.

 

Kerstin Gute Nacht, meine Große.

 

Sie drückt Friederike auch einen Kuss auf die Stirn. Friederike lächelt ganz leicht.

 

Friederike Nacht, Mama.

 

Ein kurzer Moment des Zusammensitzens, dann erhebt sich Kerstin, geht zur Tür.

 

 

Szene 24

Kerstin kommt in die Küche, Herzeleide sitzt am Tisch. Kerstin holt zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, öffnet sie an der Tischkante, reicht eines Herzeleide hinüber. Einen wortlosen Moment sehen sich die beiden an, lächelnd, dann stoßen sie an und trinken.

 

 

Abspann

 


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